Interview Johannes Vogel (FDP)

„Wir brauchen die Kreativität, den Unternehmergeist und die Dynamik von Selbstständigen“

Johannes Vogel ist Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des 19. Deutschen Bundestags. Im Interview spricht er über Chancen durch lebenslanges Lernen, mögliche Anreize für Gründer*innen und den positiven Einfluss von Freiberuflern und Selbstständigen auf die deutsche Unternehmenslandschaft.

Welchen Stellenwert haben Freelancer für die deutsche Wirtschaft – zum Beispiel gemessen am Bruttosozialprodukt?

Freelancer und Selbstständige leisten selbstverständlich einen wichtigen Beitrag für unsere Wirtschaftskraft. Aber es wäre zu unterkomplex, die Arbeit auf reine Zahlen herunterzubrechen. Wir brauchen die Kreativität, den Unternehmergeist und die Dynamik von Selbstständigen. Wir brauchen sie für den Arbeitsmarkt, für die Wirtschaftskraft generell und für den Innovationsstandort Deutschland. Es ist zudem eine Frage der Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, Selbständige nicht länger als Erwerbstätige zweiter Klasse zu behandeln.

Gibt es gesellschaftliche Entwicklungen, die durch Selbständigkeit und Freelancertum angeregt werden?

Natürlich strahlen die Tätigkeiten von Selbstständigen und Freelancern immer auch in die entsprechenden Tätigkeitsbereiche. Aber wir brauchen gesamtgesellschaftlich eine Entwicklung, die diese Berufsgruppen stärker berücksichtigt und auch von ihnen lernt. Wir streiten deshalb für eine neue Gründerzeit und einen erfolgreichen Wandel des Arbeitsmarktes. Dafür brauchen wir eine neue Kultur der Selbständigkeit und dabei muss auch die Politik einen Beitrag leisten, indem sie starre Regeln so vielfältig macht, wie es die Menschen schon sind. Leider legt die Bundesregierung Selbstständigen derzeit stattdessen Steine in den Weg und Grüne und Linke fordern als Oppositionskräfte sogar noch mehr davon.

Viele Menschen in Deutschland stehen dem Thema Selbständigkeit skeptisch gegenüber, weil ihnen die wirtschaftliche Sicherheit fehlt. Wie sähe es mit einem Grundeinkommen für Selbständige aus?

Das ist nicht zielführend, denke ich. So ein Grundeinkommen wäre auch kontraproduktiv, weil es auf Dauer negative Effekte für Selbstständige bedeuten würde. Was aber sehr wohl sinnvoll sein kann, ist eine begrenzte Unterstützung zu Beginn der Selbstständigkeit, also der Gründung. Da haben wir in NRW, wo wir gemeinsam mit der CDU regieren und als FDP für die Wirtschaft zuständig sind, ein sogenanntes Gründerstipendium aufgelegt. Dort bekommen innovative Gründerinnen und Gründer ein Jahr lang 1.000 Euro pro Monat, damit sie ihre Ideen entwickeln und umsetzen können und sich keine Sorgen darum machen müssen, ob der Kühlschrank gefüllt und die Miete bezahlt ist. Sowas finde ich sehr sinnvoll.

Estland hat eine Regelung für digitale Nomaden eingeführt. Gibt es in Deutschland ähnliche Pläne die Administration zu vereinfachen (Steuer und Sozialversicherung)?

Es wäre schön, wenn die Bundesregierung hier mal was tun würde. In NRW konnten wir immerhin innerhalb des ersten Jahres der Regierungszeit das Gründen vom Sofa aus über eine digitale Plattform ermöglichen. Wir würden eine bürokratiearme und digitale Regelung und Umsetzung deutschlandweit natürlich sehr begrüßen, aber leider verschlafen CDU, CSU und SPD dies komplett.

Stichwort Flash-Organisation: Was halten Sie von der Idee, für die Umsetzung komplexer Projekte die besten Leute befristet zusammenstellen? Was würde passieren, wenn jedes Unternehmen genau so arbeiten würde? Was würde die große Masse von Menschen machen, die nicht zu den Besten gehören?

Menschen sind so unterschiedlich, wir haben alle unterschiedliche Stärken. Es gibt unterschiedliche Szenarien und wechselnde Anforderungen. Das bedeutet: Es werden verschiedene Stärken nachgefragt. Dass immer die gleichen Menschen für bestimmte Aufgaben ausgewählt werden, überzeugt mich nicht. Im Gegenteil: Menschen spielen ihre Stärken an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Einsatzgebieten aus. Wie sie und Unternehmen dabei ihre Arbeit organisieren, das können diese beiden Seiten am besten selbst verhandeln, da braucht es keine politische Empfehlung.

Die Politik muss Steine aus dem Weg räumen, wie zum Beispiel Scheinselbständigkeit, Rechtsunsicherheit, etc. Wie ist hier der aktuelle Stand? Welche Position vertritt die FDP?

Wir müssen das Statusfeststellungsverfahren dringend reformieren! Es ist schon in der Theorie ein unhaltbarer Zustand, dass Selbstständigkeit in Deutschland rechtlich gesehen nur durch den Nachweise der Abwesenheit von Anstellung festgestellt werden kann. Das führt auch zu zunehmenden Problemen in der Praxis, weil die Arbeitswelt vielfältiger geworden ist. Das derzeitige Verfahren ist zudem intransparent und unkalkulierbar und birgt so viele Unsicherheiten für die Betroffenen. Das darf nicht weiter der Status quo in Deutschland sein. Wir brauchen klare ergänzende Positivkriterien, die zu einer verbindlichen Feststellung von Selbstständigkeit führen – unbefristet, bis zu einer erneuten Prüfung oder wesentlich neuen Umständen. Im Zuge der Reform müssen die Verfahren dann auch digitalisiert und beschleunigt werden. Der Prozess muss also endlich an die moderne Zeit und die Digitalisierung angepasst werden!

Im typischen Mittelstand, kleineren Unternehmen und oft auch Familienunternehmen ist das Thema Freiberuflichkeit noch nicht angekommen. Wie kann man hier eine Veränderung herbeiführen?

Eine echte Rechtssicherheit wie gerade beschrieben wäre mit Sicherheit ein wichtiger erster Schritt. Darüber hinaus können wir die Selbstständigkeit noch attraktiver machen, damit man eine Veränderung herbeiführen kann: Wir müssen Selbstständigen etwa echte Wahlfreiheit bei der Altersvorsorge ermöglichen. Eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit wenigen Ausnahmen ist der falsche Weg. Die Art und Weise, wie Selbstständige vorsorgen, können sie am besten selbst bestimmen, und nicht Hubertus Heil oder andere Politiker. Anders als Angestellte entscheiden Selbstständige viele wesentliche Fragen in unternehmerischer Freiheit selbst. Das sollte auch für die Art der Altersvorsorge gelten. Fertige Konzepte dafür liegen im Ministerium vor, man müsste nur wollen. Entscheidend ist zudem, dass eine Pflicht zur Altersvorsorge keine Hürden für Gründungen aufbaut, daher müssen Existenzgründer in jeder Gründungsphase drei Jahre lang befreit werden. Zudem sollten Selbstständige zukünftig auch die Möglichkeit haben, die Riester-Förderung zu nutzen, alles andere wäre ungerecht. Durch eine Öffnung erleichtern wir so auch den immer häufiger gewünschten Wechsel zwischen Anstellung und Selbstständigkeit – denn heute kann man teils nicht einmal seine Altersvorsorge weiterführen beziehungsweise seine Förderung mitnehmen. Alle angesparten Leistungen sollen zudem jederzeit in einem Online-Vorsorgekonto einsehbar sein. Zeitgleich kann man dann endlich faire Versicherungsbeiträge für alle Selbständigen und Existenzgründer in der gesetzlichen Krankenversicherung schaffen.

Der Angestellte sieht oft den Arbeitgeber in einer Bringschuld was Qualifizierung und Weiterbildung angeht. Selbständige müssen von sich aus lernen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wie lässt sich Intrapreneurship anregen?

Lebenslanges Lernen ist extrem wichtig und ganz generell sollte das jeder auch als persönliche Chance für sich begreifen. Die Ausbildung und das Lernen enden heute nicht mehr mit der Ausbildung oder dem Studium. Daher ist es auch eine Mentalitätsfrage – und gerade Selbstständige unterliegen da auch natürlichen Mechanismen. Wenn ich bei meinem Produkt Entwicklungen und Lernentwicklungen der Konkurrenz verschlafe, dann spüre ich das, weil sich Konkurrenzprodukte oder Dienstleistungen besser verkaufen, weil sie einen Vorteil besitzen. Es ist im ureigenen Interesse von Selbstständigen, sich stets weiterentwickeln zu wollen.

Wir haben mit einem amerikanischen Freelancer geredet, der neben seiner Teilzeit Festanstellung als Freelancer arbeitet. Haben Sie eine Meinung zu dem sogenannten „Side Hustle“ und dessen rechtliche und steuerliche Würdigung?

Ich bin da ja vorhin schon drauf eingegangen: Zick-Zack-Lebensläufe, also das Wechseln zwischen unterschiedlichen Formen der Erwerbstätigkeit, werden immer gefragter. Ganz egal, ob die unterschiedlichen Formen nun nacheinander oder parallel stattfinden. Für uns gilt: Die sozialen Sicherungssysteme müssen zum modernen Arbeitsmarkt passen und somit modernisiert werden! Wenn jemand also neben seiner Anstellung ein eigenes Projekt als Freelancer verwirklichen möchte, dann sollte das natürlich unkompliziert möglich sein. Wichtig ist aber, dass beide Bereiche abgesprochen und klar getrennt werden, damit es nicht zu steuerlichen Problemen kommt.

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